
Dr. Peter Schwarzer
Head Coach Business & Career Impact
Als ich zur Schule ging, hatten wir noch „Religion“ als Unterrichtsfach. Ich hatte es sogar als Thema in meiner mündlichen Abschlussprüfung fürs Abitur. Bis heute erinnere ich mich mit großer Zufriedenheit daran, wie ich die Prüfungskommission mit meinem „Wissen“ über die „realisierte Eschatologie“ (=Teilhabe am Reich Gottes schon im Hier und Jetzt) beeindruckt habe.
Ich erinnere mich auch besonders an einen meiner Lehrer für katholische Theologie – vor allem, weil er eine Art Nerd war. Aber ein Nerd, der kranke Kollegen im Krankenhaus besuchte, sich in einer schwierigen Zeit nach mir erkundigte und ein Gespür für Misogynie hatte, das auch heute noch relevant wäre. Er sagte auch einen Satz, der mir bis heute im Kopf geblieben ist: „Der Papst hat Zeit, weil er weiß, dass das, was er nicht schafft, einer seiner Nachfolger erledigen wird. Deshalb macht die Kirche nichts überstürzt.“
Mich beschäftigt, welche Auswirkungen diese Aussage auf die Geschäftswelt und darüber hinaus haben könnte.
Schauen wir uns an, was es bedeutet, sich Zeit zu nehmen, um ein Unternehmen oder eine Abteilung zu führen. Ich kann mir vorstellen, wie verlockend die Aussicht klingt, sich Zeit zu lassen. Wir leben allerdings in einer schnelllebigen Welt und sind darauf konditioniert, zu glauben, dass, wenn wir etwas nicht erledigen, jemand anderes uns das Wasser abgräbt.
Das trifft auf toxische Organisationen und Geschäftsmodelle ohne langfristige Vision auch tatsächlich zu. Sie „melken die Cash-Cow“ so lange es geht. Geld aus einem Segment zu pressen ist an sich eine legitime Strategie (BCG-Matrix) [BILD EINFÜGEN]. Aber ohne langfristige Strategie ist das Unternehmen ein One-Trick-Pony oder schwimmt als Nachahmer auf einer Welle, solange es eben geht. Letztlich fehlt ihm dann ein übergeordnetes Ziel und eine nachhaltige Vision.
Das bringt mich zurück zu den Grundlagen, wie wir als Gründer, CEOs oder Manager mit unserer Zeit umgehen. Per Definition werden wir nicht alles schaffen oder zu Ende bringen können – und das sollte auch gar nicht das Ziel sein, wenn wir etwas Nachhaltiges aufbauen wollen. Unsere Zeit ist begrenzt, aber der Managementprozess endet nie. Halten wir hier einen Moment inne und überlegen, was dieser Satz in uns auslöst. Wenn es dir wie mir geht, weißt du das zwar intellektuell, handelst aber nicht immer danach.
Am Ende des Tages bestimmen unsere Grundüberzeugungen und Werte unser Handeln – und so eine Aussage kann einige dieser Überzeugungen oder sogar das Bild, das wir von unseren Überzeugungen haben, herausfordern und in Frage stellen.
Ein Beispiel: Eine Grundüberzeugung könnte sein, dass harte Arbeit immer belohnt wird.
Diese Überzeugung zeigt sich vielleicht darin, dass du lange im Büro bleibst, am liebsten bleibst bis alle anderen schon gegangen sind – sogar am Freitag. Vielleicht stellst du deine Karriereziele häufig über Zeit mit Freunden oder Familie.
Soweit das Klischee.
Was beängstigend sein kann, ist zu prüfen, ob dieser Wert oder diese Überzeugung tatsächlich für deine Organisation oder deine Vorgesetzten gilt. Wenn nicht, was bedeutet das? Sind deine Grundüberzeugungen falsch? Helfen dir die darauf basierenden Handlungen womöglich gar nicht weiter? Oder gibt es eine Diskrepanz zwischen deinen Werten und denen der Organisation?
Wie steht es mit weniger klischeehaften Überzeugungen und Werten? Starke Loyalität kann dazu führen, dass du viel zu lange an einer Organisation, einem Vorgesetzten oder einem deiner Mitarbeitenden festhältst, obwohl du die Unternehmenskultur kritisch siehst, viele deiner Werte missachtet werden oder dir die Arbeit nicht gefällt.
Auch Management-Buzzwords können übrigens ungesunde Verhaltensmuster auslösen. Ich frage mich, wie viele angehende Führungskräfte Robert Greenleafs Idee des „Servant Leadership“ (dienende Führung) nach der Veröffentlichung 1970 missverstanden und auf eine Weise interpretiert haben, die der Autor nie beabsichtigt hatte. Wenn man sich die zentralen Werkzeuge eines „Servant Leaders“ ansieht – Zuhören, Überzeugungskraft, Zugang zu Intuition und Weitblick, Sprachgebrauch und pragmatische Erfolgsmessung – wie viele sind wohl beim Dienen und Zuhören hängengeblieben? Begriffe wie „Dienen“, „Zuhören“ und „Intuition“ können leicht zu suboptimalem Verhalten führen. Für sich genommen sind sie wichtige Führungseigenschaften, funktionieren aber nur mit dem anderen Teil der Gleichung: Vor allem der Fähigkeit, die für gute Ergebnisse nötigen, schwierigen Entscheidungen zu treffen.
Und noch eine weit verbreitete Überzeugung birgt Gefahren:
Die große Versuchung für viele von uns ist es, an die eigene Unersetzlichkeit zu glauben. Kaum jemand würde das offen zugeben. Aber unser Verhalten verrät uns: Der Wunsch, bei jedem Meeting dabei zu sein. Entscheidungen zu bezweifeln, die ohne uns getroffen wurden. Das Bedürfnis nach dem Eckbüro. Oder einfach die Vorstellung, für die Abteilung oder das ganze Unternehmen unverzichtbar zu sein. Eine der schwierigsten Lektionen für unser Selbstwertgefühl ist es, zu akzeptieren, dass wir ersetzbar sind.
Dazu eine kleine Übung: Nenne fünf ordentlich geführte Unternehmen, die zusammengebrochen sind, weil der CEO gegangen ist. Wenn Organisationen einen CEO-Wechsel überleben, werden sie auch damit klarkommen, wenn du deine eigene Wichtigkeit relativierst.
Dass wir ersetzbar sind, schmälert nicht unsere Einzigartigkeit. Es bedeutet nur, dass unsere Rolle im Unternehmen auch von jemand anderem ausgefüllt werden kann. Beweis gefällig? Denken an deine letzte Beförderung – irgendjemand musste deine alte Position übernehmen. Du wurdest also schon einmal ersetzt. Und ja, vielleicht trauern die Kollegen, wenn du das Unternehmen verlässt oder auch nur das Büro wechselst. Das hält etwa einen Monat, dann haben sich alle auf die neue Person eingestellt.
Was sind die praktischen Konsequenzen? Im Idealfall lernen wir, gelassener zu werden. Das meine ich nicht flapsig. Ich will sagen: Daraus ergibt sich die Chance, sich weniger belastet zu fühlen. Wir können ehrlich reflektieren, welche Verantwortung wirklich unsere ist – und welche wir übernommen haben, obwohl sie uns erdrückt. Es geht nicht darum, weniger zu arbeiten, sondern um ein vernünftiges Tempo, das nicht von untragbaren Aufgaben erdrückt wird, und um mehr Raum, strategisch über Verbesserungen nachzudenken.
Ein nützliches Werkzeug, um herauszufinden, wie wir unsere Zeit verbringen – oder verschwenden – ist die Eisenhower-Matrix.
Wie du siehst, findet die „Qualitätsarbeit“ im nicht dringenden und ständig sich rotierenden Bereich statt. Deshalb sind wir selbst gefordert, diesem Teil ausreichend Aufmerksamkeit und Raum zu geben. Stell dir mal vor, welche Möglichkeiten entstehen, wenn man ohne Zeitdruck hochwertige Ergebnisse erarbeiten kann.
Coaching kann dich dabei unterstützen, denn systemisches Coaching schafft einen Raum, in dem du deine eigenen Grundüberzeugungen und deren Einfluss auf dein Verhalten in deiner Rolle im Unternehmen erforschen kannst. Mit diesen Erkenntnissen kann dich ein Coach auf dem Weg begleiten, das Wesentliche vom Lärm zu trennen – du wirst lernen, deinen eigenen Entscheidungen zu vertrauen, erkennen, dass es Aufgaben für deine Nachfolger:in gibt, und du entwickest vielleicht einen viel größeren Blick auf den Sinn deiner Organisation. So kannst du gewissermaßen lernen, wie der Papst zu arbeiten.
Wir bei crimalin stehen dir mit unserem Coaching-Ansatz zur Verfügung – schau dir unser Business & Career Impact Journey Programm an oder kontaktiere uns einfach direkt: https://www.crimalin.com/book-a-call.
PS:
Und wenn du wirklich wie der Papst vorgehen willst, kannst du diesen Denkprozess auch auf das Leben insgesamt anwenden.
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