„Ich will nicht herrschen“ – Frauen, Macht und der blinde Fleck in der Führung

Sinah Koelman, M.Sc
Gesundheitsmanagerin, Beraterin & Coach
Vier Superheldinnen in farbenfrohen Kostümen posieren selbstbewusst vor einer nächtlichen Stadtkulisse.
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Von außen lief alles rund.

HR-Leitung in einem mittelständischen Unternehmen, achtstelliges Budget, ein Team aus exzellenten Fachkräften. Und trotzdem saß ich nach einem Meeting in meinem Büro und fragte mich wieder einmal: Warum wurde ich übergangen – obwohl meine Argumente fundiert waren? Warum bekam der Kollege mehr Gehör, obwohl er weniger vorbereitet war? Und warum hatte ich, trotz all meines Engagements, permanent das Gefühl, in der zweiten Reihe zu stehen?

Was ich damals nicht verstand: Ich hatte kein fachliches Problem – ich hatte ein Machtproblem. Oder besser gesagt: Ich hatte keinen Zugang zu meiner eigenen Macht.

Macht ist kein Schimpfwort

Peter Modler bringt es in seinen Büchern auf den Punkt: Viele Frauen behandeln Macht, als sei sie radioaktiv. Lieber überzeugen sie durch Fleiß, Harmonie und inhaltliche Stärke. Bloß nicht zu viel Raum einnehmen, bloß nicht fordernd auftreten. Das ist ehrenhaft gedacht – aber oft strategisch unklug.

Denn in vielen Organisationen gelten andere Spielregeln. Nicht falsch – nur anders, als viele Frauen sie gelernt haben.

In klassischen Führungsstrukturen – meist maskulin geprägt – geht es nicht primär um Konsens. Es geht um Positionierung, um Präsenz, um Klarheit in der Kommunikation. Dominanz nicht als Selbstzweck, sondern als Werkzeug.

Macht bedeutet: Einfluss nehmen

Und wer sich dieser Verantwortung entzieht, wird über kurz oder lang fremdgesteuert.

Eine weibliche Stimme zur Machtfrage: Tijen Onaran

Eine Frau, die das Thema Macht im Business sehr klar und öffentlich adressiert, ist Tijen Onaran – Unternehmerin, Investorin und Autorin von be your own f*cking hero. Sie schreibt:

„Wenn du immer Ja und Amen zu allem sagst, werden die Leute es ausnutzen – das liegt in der Natur der Sache. Grenzen haben viel mit einer klaren Haltung und mit Unabhängigkeit zu tun.“

Onaran bricht bewusst mit dem Bild der „braven“, angepassten Führungskraft. Für sie ist Sichtbarkeit eine Form von Selbstermächtigung – und Macht ein Hebel, um Strukturen zu verändern:

„People are going to judge you – no matter what. So don’t let them stop you from doing whatever you want.“

Diese Klarheit ist wohltuend. Und sie war für mich ein Wendepunkt im Denken. Denn: Macht annehmen bedeutet nicht, die eigene Authentizität zu verlieren – sondern sie zu verteidigen.

Macht verweigern – und warum das riskant ist

Viele Führungskräfte meiden Macht aus Angst, als unsympathisch zu gelten. Doch das kann fatale Folgen haben: Projekte bleiben liegen, Entscheidungen werden verschleppt, Teams verlieren Orientierung.

Ein Beispiel: In einer gemeinnützigen Organisation übernahm eine neue Bereichsleiterin mit großem Engagement die Führung. Sie wollte vor allem teamorientiert und auf Augenhöhe agieren – was grundsätzlich positiv war. Doch aus Sorge, autoritär zu wirken, vermied sie klare Entscheidungen. Sie moderierte endlose Diskussionen, ohne je eine Richtung vorzugeben. Die Folge: Mitarbeitende wurden zunehmend frustriert, weil Orientierung fehlte – und mehrere Schlüsselpersonen verließen die Organisation.

Das Learning daraus: Führung ohne Macht ist eine Pflichtverletzung. Wer sich für eine Führungsrolle entscheidet, übernimmt Verantwortung – auch dafür, Entscheidungen zu treffen, Konflikte auszuhalten und den Kurs zu bestimmen. Selbst dann, wenn es unbequem wird.

Das Coaching, das meine Perspektive veränderte

Ich erinnere mich genau, wie ich im Coaching einmal sagte: „Mir geht es nicht um Macht.“

Meine Coachin hielt inne und fragte: „Was genau verstehen Sie unter Macht?“. Das brachte mich ins Nachdenken.

Es folgten klare, manchmal konfrontative Übungen: Körpersprache, Statusverhalten, Haltung.

Ein Schlüsselmoment war, als ich in einem Rollenspiel eine starke Aussage machte – und sie sofort wieder abschwächte. Meine Coachin stoppte mich: „Lassen Sie den Satz stehen.“

Es war ungewohnt. Es fühlte sich falsch an. Fast wie eine Rolle. Doch je öfter ich es übte, desto mehr verstand ich: Das bin nicht etwa nicht ich – das ist ein Teil von mir, den ich nie zeigen durfte.

Führung braucht Macht – und Frauen brauchen den Zugang dazu

Ein Satz, den ich heute oft von Frauen höre: „Ich will doch gar nicht herrschen.“

Natürlich nicht. Übrigens wollen das auch die wenigsten Männer. Es geht nicht um Herrschaft – es geht um Wirkung. Es geht darum, sich klar zu positionieren, Grenzen zu setzen, Verantwortung zu übernehmen – auch auf die Gefahr hin, dass man dafür nicht sofort Applaus bekommt.

Frauen, die lernen, mit Macht umzugehen, sind nicht weniger authentisch. Sie sind nicht „wie Männer“. Sie sind Führungspersönlichkeiten, die beginnen, auf Augenhöhe mitzuspielen – statt zu hoffen, dass Leistung allein genügt.

Der innere Widerstand – warum Frauen oft zögern

Viele Frauen, mit denen ich arbeite, spüren einen tiefsitzenden inneren Widerstand, wenn es um das Thema Macht geht. Sie sind kompetent, ambitioniert, engagiert – und dennoch sagen sie Sätze wie: „Ich will nicht zu forsch wirken“, „Ich möchte niemanden übergehen“ oder „Ich will nicht die Ellenbogen ausfahren müssen.“

Diese Zurückhaltung hat oft biografische Wurzeln: In der Schule wurden sie für ihr Sozialverhalten gelobt, im Elternhaus für ihre Anpassungsfähigkeit, im Studium für ihr analytisches Denken – aber selten für ihre Durchsetzungskraft. Wer gelernt hat, dass es Anerkennung für Rücksicht und Zurückhaltung gibt, dem fällt es schwer, sich mit Autorität zu zeigen.

Hinzu kommt ein Rollenbild, das viele über Jahre verinnerlicht haben: Eine gute Frau ist kooperativ, teamorientiert, selbstlos – eine starke Frau dagegen schnell „zickig“, „dominant“ oder „zu ehrgeizig“. Diese Zuschreibungen wirken oft unbewusst, aber sie bremsen. Wer ständig zwischen Kompetenzanspruch und Sympathiebedürfnis pendelt, hat wenig Raum für klare Führung.

Doch Macht ist nicht das Gegenteil von Menschlichkeit. Macht heißt nicht: laut werden, dominieren, kontrollieren. Es heißt: Verantwortung übernehmen, Standpunkte vertreten, Räume sichern – für sich selbst und für andere. Es bedeutet, die Führung nicht dem lautesten oder unqualifiziertesten zu überlassen.

Sich mit der eigenen Macht auszusöhnen, ist für viele Frauen kein technisches, sondern ein emotionales Thema. Es geht nicht darum, „mehr wie ein Mann“ zu sein – sondern darum, sich selbst die Erlaubnis zu geben, wirksam zu sein.

Führung ohne Akzeptanz der Macht ist eine Pflichtverletzung

Wer sich für eine Führungsrolle entscheidet, übernimmt Verantwortung – auch dafür, Entscheidungen zu treffen, Konflikte auszuhalten und den Kurs zu bestimmen. Selbst dann, wenn es unbequem wird.

Führung ist größer als Zustimmung. Sie verlangt auch, unpopuläre, aber notwendige Entscheidungen zu treffen – im Dienst der Organisation.

Mein Appell:  
Nimm deine Macht an. Nutze sie. Nicht, um zu dominieren – sondern um zu gestalten, zu schützen, zu fördern. Gib mit deiner Macht anderen Raum, selbst wirksam zu werden.

Was ich weitergebe

  1. Macht ist Verantwortung – nicht Herrschaft.
    Führung heißt nicht, andere zu dominieren, sondern klare Entscheidungen zu treffen, Verantwortung zu übernehmen und Räume zu sichern – für sich selbst und für andere.
  2. Macht darf (und muss) sichtbar sein.
    Sichtbarkeit ist kein Ego-Trip – sondern ein Akt der Selbstermächtigung. Wer sich nicht zeigt, wird übersehen. Wer sich nicht positioniert, wird fremdgesteuert.
  3. Lass den Satz stehen.
    Wenn du eine klare Aussage machst – relativiere sie nicht. Stärke entsteht nicht durch Dauerrede, sondern durch Standhaftigkeit. Das gilt im Denken wie im Auftreten.

Fazit

Was ich immer wieder sehe: Macht ist ein blinder Fleck.

Neben meiner Führungsrolle arbeite ich heute als Coachin und Trainerin.

Und Coaching kann helfen, diesen sichtbar zu machen. Nicht um Menschen zu verändern – sondern um ihnen den Zugang zu Ressourcen zu öffnen, die längst in ihnen stecken.

Ein Perspektivwechsel wirkt oft Wunder: Ein Schritt zur Seite, ein neuer Blick auf die eigene Rolle – und plötzlich wird klar, was alles möglich ist, wenn man die Verantwortung annimmt, die einem längst zusteht.

Wenn ich heute in Meetings sitze, denke ich manchmal an mein früheres Ich. An die Momente, in denen ich klare Aussagen sofort wieder relativierte – „Ich glaube, das könnte vielleicht sinnvoll sein …?“

Heute mache ich es anders. Ich lasse den Satz stehen: „Das ist der richtige Weg – und ich übernehme dafür die Verantwortung.“

Leseempfehlung

Für alle, die sich tiefer mit dem Thema Macht und Führung auseinandersetzen möchten:

  • Tijen Onaran: Be your own f*cking hero
  • Peter Modler: Das Arroganz-Prinzip & Macht

Unsere Gast-Autorin Sinah Koelman:

2021 hat Sinah die Marke „Business meets Life“ gegründet. Damit geht sie ihrer Begeisterung für das Unternehmertum in Kombination mit gesundheitlichen Themen rund um Mindset, Selbstwert, Achtsamkeit, Ernährung und Fitness nach.

Literatur

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