Medikamente als Wunderwaffe gegen Übergewicht - Falscher Ansatz?

Dr. Heinz-Christian Kuche
Head Coach Balance & Vitality
Eine junge Frau hält sich ein Maßband vor die Augen
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Der erfreuliche Nebeneffekt der ursprünglich als Antidiabetika eingesetzten GLP1-Rezeptoragonisten (GLP1-RA), das Gewicht zu reduzieren, ist Ärzten schon lange bekannt.

Die Idee, die Substanzen in höherer Dosierung auch in der Therapie der Adipositas einzusetzen, war somit schnell da, erinnerte Prof. Radaatz. Die Tests in Studien zeigten Erfolg.

Wie aber steht es mit einem Einsatz von derartigen Medikamenten dann, wenn es sich um schlichtes „Übergewicht“ handelt, bei dem eine Lebensstilmodifikation vielleicht auch ausreichen könnte?  

20 % weniger Körpergewicht durch den Einsatz von Medikamenten

Die erste Substanz, die beim direkten Vergleich zu intensiven Lebensstilmodifikationen - vor allem einer Änderung des Essverhaltens - punkten konnte war Liraglutid. Wie der Experte berichtete, näherte sich der Effekt dem eines bariatrischen Eingriffs (chirurgische Herstellung eines Schlauchmagens) an.

„Getoppt wurde dies noch durch die Daten zu Semaglutid“, so Prof. Radaatz. In der STEP1 Studie ist es etwa einem Drittel der Teilnehmenden in der Interventionsgruppe gelungen, unter 2,4 mg/Woche Semaglutid, z.T schon innerhalb weniger Wochen 20 % des Körpergewichts zu reduzieren. Dabei beschränken sich die Nebenwirkungen in den meisten Fällen auf gastrointestinale Symptome wie beispielsweise Übelkeit in moderater Ausprägung vor allem zu Beginn der Therapie. Es kommt dadurch nur selten zu Therapieabbrüchen, betonte Prof. Radaatz.

Noch einen Schritt weiter gehen sogenannte duale Agonisten. Sie wirken synergistisch , d.h. sie verstärken den Gewichtsabnahm-Effekt.  „Die Gewichtsabnahme ist noch deutlicher als unter Semaglutid“, so Prof. Raddatz.

Er verweist da auf Daten der SURMOUNT Studie:  Der Anteil an Menschen, die unter 10 mg/Woche Tirzepatid mindestens 20 % ihres Körpergewichts verloren, war mit über 50 % sehr hoch. Auch hier kann der Effekt bereits in wenigen Wochen eingetreten sein.

Insgesamt, so Prof. Radaatz „sind dies Zahlen, die in den Bereich hineinreichen, die wir auch mit der bariatrischen Chirurgie (Schlauchmagen) erreichen können.“ „Es können Menschen medikamentös behandelt werden, die sonst einer bariatrischen OP zugeführt worden wären“, so sein Fazit.

Doch damit nicht genug: Es gibt noch weitere Wirkstoffe, die schon auf dem Weg zur klinischen Anwendung sind.

So besteht zum Beispiel auch Forschungsinteresse am Hormon Amylin. Es wird nach Nahrungsaufnahme im Körper zusammen mit Insulin ausgeschüttet. Dabei verstärkt es das Sättigungssignal, verzögert die Magenentleerung und hat Auswirkungen auf den Glukosestoffwechsel.

Wichtig ist bei diesen Studien, dass sie im Hinblick auf die Behandlung einer echten Adipositas, also einer Fettleibigkeit mit Krankheitswert, durchgeführt wurden.

Convenience-Spritzen gegen Lifestyle-Speck  

Denn das alles klingt zwar zunächst nach einer echten Sensation - fast so, als hätte jemand ein Mittel für Haupthaarwuchs entdeckt, das so wirksam ist, dass es Kahlköpfige wieder mit der früheren Lockenpracht ausstattet – müssen wir uns trotzdem fragen, welche Risiken wir eingehen, wenn wir als eigentlich gesunde Menschen (im Sinne von intakten Körperfunktionen) den medikamentösen Weg einschlagen, anstatt unseren Lebensstil nachhaltig zu ändern.

Wenn Idole wie Hollywood-Stars mittlerweile darauf schwören und sogar Promis wie Elon Musk sich offen dazu bekennen, sollten wir uns vielleicht fragen, ob sie wirklich Vorbilder für ein balanciertes, gesundes Leben sind. Ähnlich äußert sich auch der Chefredakteur des Deutschen Ärzteblattes Michael Schmedt, wenn er in seinem Vorwort zur aktuellen Ausgabe schreibt : „Wer seinen Wohlstandsbauch wie Techmilliardär Elon Musk loswerden will, engagiert inzwischen keinen Ernährungsberater oder Personal Trainer mehr. Er lässt sich einfach das Medikament Semaglutid spritzen, das allerdings nur zur Behandlung von Diabetes (Ozempic) und Adipositas (Wegovy) zugelassen ist...“

Welche langfristigen Folgen zu erwarten sind

Bei aller positiven Wirkung, die inkretinbasierte Therapien zeigen, gibt es doch auch Bedenken in Bezug auf langfristige Folgen. Fakt ist, dass GLP1- und GIP-Rezeptoren auch außerhalb der Bauchspeicheldrüse im Körper ausgebildet werden. Tatsächlich finden sich diese Rezeptoren, an welchen das Medikament ansetzt, unter anderem auch in bösartigen Tumoren, so dass sich deren Stimulation negativ auf den Verlauf der Erkrankung auswirken kann. Darüber hinaus gab der Referent zu bedenken, wurde im Tiermodell durch die Stimulation von GLP1-Rezeptoren sogar die Entstehung von (medullären) Schilddrüsenkarzinomen gefördert.

Deshalb sind GLP1-RA aktuell kontraindiziert bei Personen mit einer Familienanamnese von medullärem Schilddrüsenkrebs oder multipler endokriner Neoplasie (= bösartige Neubildung) Typ 2.

Insgesamt ist also eine langfristige unerwünschte systemische Wirkung nicht ausgeschlossen.

Der Preis des Gewichtsverlustes könnte somit, auf das Leben betrachtet, ziemlich hoch werden.

Um den Erfolg aufrecht zu erhalten ist eine dauerhafte (lebenslange) Anwendung erforderlich

Es stellt sich auch die Frage der Anwendungsdauer inkretinbasierter Therapien. Da das Gewicht wieder ansteigt, sobald der Wirkstoff abgesetzt wird, könnte eine langfristige, wenn nicht sogar lebenslange Einnahme notwendig sein.

Ähnlich wie bei den üblichen schnellwirksamen Diäten zur Gewichtsreduktion besteht also ein Rebound-Effekt.

Es bleibt nach Ansicht des Referenten daher zu klären, was die Patientinnen und Patienten zusätzlich tun können, um ihr Gewicht zu reduzieren. Gute Erfolge wurden beispielsweise auch durch intensive Lebensstilintervention unter Integration von Formuladiäten (eine bilanzierte Diät, bei der mindestens eine Mahlzeit am Tag durch ein kalorienreduziertes Produkt ersetzt wird) erzielt. Um einen Gewichtsverslust langfristig zu halten, bedarf es bei der Therapie der Adipositas vermutlich der Kombination konservativer, medikamentöser sowie app-basierter Therapien, so die Vermutung des Referenten.

Hohe Kosten schränken die Zielgruppen ein

Die größten Spielverderber in Sachen inkretinbasierter Thearpien sind jedoch die Kosten, stellte Prof. Radaatz fest. Eine Aufstellung aus den USA zeigt beispielsweise, dass für den Verlust von 1 kg Körpergewicht durch Semaglutid Therapiekosten von 1800 US-Dollar entstehen bzw. 1000 US-Dollar für Tirzepatid. In Deutschland muss die Kostenfrage erst noch geklärt und es müssen Zielgruppen definiert werden. Prof. Radaatz: „Es wird sicher nicht so sein, dass wir jeden mit einem BMI von 28 damit behandeln, das wird das Gesundheitssystem nie stemmen können.“

Für den persönlichen Gebrauch wird daher, ganz abgesehen von der Verschreibungspflicht, der Einsatz wirksamer Medikamente zur Gewichtsreduktion nur wenigen möglich sein.

Einschätzung aus Sicht des praktizierenden Arztes und Balance&Vitality Coaches

Ich stehe dem Therapieansatz der neuen Wirkstoffe durchaus ambivalent gegenüber.

Einerseits ist die Möglichkeit einer medikamentösen Therapie für wirklich schwer übergewichtige, adipöse Menschen ein Segen – auch und trotz der Kontraindikationen und hohen Therapiekosten – allerdings immer in Hinblick auf eine gleichzeitig anzustrebende Lebensstilanpassung.

Vermieden werden muss allerdings die sich bereits entwickelnde Wellnessanwendung: lieber eine Spritze oder Pille anstatt einer angemessenen körperlichen Bewegung, Ernährungsdisziplin und Selbstverantwortung!

In meiner klinischen Tätigkeit sind mittlerweile viele Menschen an mich herangetreten, um mich um ein Rezept für die „tolle Spritze zum Abnehmen“ zu bitten, unabhängig von der Notwendigkeit. Oft und leider mehrheitlich von Personen, die gerade nicht übergewichtig waren, sondern im Rahmen eines Schönheitsideals oder der (falsch verstandenen) Selbstoptimierung glauben, ein weiteres Instrument gefunden zu haben.

Mir sind auch Kollegen bekannt, die anders als ich es getan habe, dem Wunsch nachgegeben haben.

Meiner Einschätzung nach könnte es ein sinnvoller Ansatz sein, parallel zur medikamentösen Therapie ein verpflichtendes Coaching zur Verhaltensmodifizierung zu fordern. Darüber hinaus könnte und sollte die Kostenerstattung für eine Fortführung der medikamentösen Therapie nach Erreichen einer BMI Grenze und dem erneuten Überschreiten, limitiert werden.

Bei moderatem Übergewicht oder gar einem Wunsch zur Gewichtsabnahme, um dem eigenen Schönheitsideal zu entsprechen, sollten die betreffenden Personen keine Verschreibung eines Medikamentes (siehe langfristige Nebenwirkungen), sondern eine gute Ernährungsberatung erhalten. Auch hier ist ein begleitendes Coaching eine kluge Maßnahme, da es die nachhaltige Implementierung neuer gesundheitsförderlicher Verhaltensweisen und mitunter durchaus auch eine Neu-Justierung der eigenen Ansprüche an sich selbst (Stichwort Körperwahrnehmung) bewirkt.

Insgesamt sollten wir alle in Bezug auf unsere Gesundheit mehr Wert auf eine selbstwirksame Eigenverantwortlichkeit legen, denn diese garantiert uns in den meisten Fällen mehr Nachhaltigkeit.

Fazit

Medikamente zur Behandlung der Adipositas sind zum Einsatz für die Lifestyle-Gewichtsreduktion nicht angezeigt. Negative Nebenwirkungen und Gesundheits-Risiken können immer nur nach Abwägung der Risiken, die die zu behandelnde Krankheit mit sich bringt, in Kauf genommen werden. Eine Krankheit stellen einige Pfunde zu viel nicht dar – auch einige mehr noch nicht. Eine Verschreibung entsprechender Medikamente zu bekommen, ist daher sehr unwahrscheinlich. Bedenkt man außer den Risiken auch die hohen Kosten und die Notwendigkeit der dauerhaften Einnahme, so ist die kurzfristige Anstrengung einer Lebensstiländerung mit Hilfe eines unterstützenden Coachings auf jeden Fall gesünder und darüber hinaus auch langfristig wirksam.

*Dieser Beitrag basiert auf dem Vortrag von Prof. Dr. med. Dirk Radaatz: „GLP Agonisten, die neue Wunderwaffe der Adipositastherapie?“ auf dem 129. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin und einem Kommentar der Autorin Alisa Ort; Michael Schmedt, Chefredakteur Deutsches Ärzteblatt, „Seite eins: Semaglutid: Therapie missbraucht“, Ausgabe 19/2023, sowie einem Kommentar von Dr. med. Heinz-Christian Kuche, Kardiologe und Head Coach Balance & Vitality und Dr. med. Cristina Barth Frazzetta, Ärztin, COO und Co- Founderin von crimalin

Literatur

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