Fitness-Tracker: Fluch oder Segen für unsere Gesundheit?

Dr. Cristina Barth Frazzetta
Co-Founder & COO
Eine junge Frau schaut auf ihre Apple Watch am Handgelenk
Inhaltsverzeichnis:
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Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, wie man Gesundheit definiert – nämlich lediglich als Abwesenheit von Krankheit und Datenabweichungen oder zusätzlich als psychisch-soziales Wohlbefinden und Freiheit von Ängsten.

Vor einigen Tagen erzählte mir ein Freund von einem Mann1 , dem es gelungen sei, den Alterungs-Prozess seines Körpers nicht nur aufzuhalten, sondern sogar umzukehren. Klingt faszinierend und die Ergebnisse seiner Selbststudien sind auch auf den ersten Blick beeindruckend. Auf den zweiten Blick zeigt sich allerdings, dass sich diese exzessive Selbstbeobachtung und Datenkontrolle wohl kaum zur Nachahmung in einem lebendigen Alltag eignet.

Schon jetzt ersetzt der Blick auf den Fitness-Tracker mitunter den Blick nach innen. Auch wenn Letzterer zwar im Gegensatz zu den stets komplexer werdenden Geräten keine ablesbaren, ausgewerteten Einzelfakten liefert, so gibt er doch Auskunft zum Zustand des Gesamtsystems „Körper“.

Denn viele der über Technik erfassbaren Werte werden auch und gerade durch das körpereigene Mess-System sozusagen automatisch abgefragt und wir erhalten die Antwort, wenn wir uns einfach selbst nach unserem Befinden befragen. Mitunter liefert uns diese Frage sogar mehr Erkenntnis, weil sie in einem Bedeutungszusammenhang integriert ist.   Es ist nämlich durchaus möglich, dass alle gemessenen Werte (noch) stimmen, es aber dennoch Anlass zur Vorsicht gibt und umgekehrt, dass ein Wert aus der Norm schlägt, im betreffenden Fall aber unbedeutend ist.

Analyse bis zur Paralyse

Auch viele Ärzte schauen heute mehr auf den Computer, auf Labor-Messwerte und durch Geräte erhobene Daten als auf den Menschen, der vor ihnen sitzt. Das dient zwar möglicherweise einer Effizienzsteigerung, aber die Mediziner verlernen den ganzheitlichen Blick und berauben sich obendrein selbst der sinnstiftenden Gesamtzusammenhänge ihres Berufes.
Am Ende kann es sogar so weit kommen, dass weder Arzt noch Patienten genau hinsehen oder besser „hinfühlen“, wie es den Betreffenden eigentlich geht. Nur aufgrund eines unklaren Wertes wird so mitunter die ganze Untersuchungsmaschinerie angeworfen. Schlimmer noch: Es werden andere Warnsignale übersehen, nur weil alle Messwerte unauffällig sind.

Was wir schon immer wussten

Es scheint, dass immer häufiger ganz einfache Zusammenhänge und Lebensweisen und Lebensweisheiten zu kurz kommen.

Denken wir nur einmal an drei besonders wichtige Bereiche:

Ausgewogene Ernährung, die nicht nur der Nährstoff-Zufuhr mit möglichst wenig Zeitverlust dient oder gar der Kontrollausübung über den eigenen Körper, wie wir ihn bei übertriebenen Diäten – im Extremfall bei der Magersucht – sehen, sondern auch die Seele nährt, wie es durch Muße, Genuss und Geselligkeit geschieht.

Regelmäßige und angemessene Bewegung, die die Muskeln trainiert, das Skelett stärkt, die Organe durchblutet und Freude macht. Wohlbekannt als Fehlentwicklung auf diesem Gebiet ist der Bewegungsmangel, nicht selten mit Übergewicht einhergehend – weniger Beachtung findet hingegen die übertriebene Belastung.
Anfang 2018 veröffentlichte das Hamburger Ärzteblatt eine Randnotiz zu einer kardiologischen Studie der Hamburger Universitätsklinik unter dem Titel „Intensiver Ausdauersport kann Männerherzen schädigen“2  und auch im ärztlichen Journal wird zum selben Thema Prof. Dr. Lund, Mitglied der Forschergruppe, mit den Worten zitiert:

„Es gibt wahrscheinlich eine persönliche Belastungsgrenze. Wird sie überschritten, kann das Herz Schaden nehmen.“ 3

Wichtig erscheint mir hier das Wort „persönlich“, die oben erwähnten Norm-Werte helfen an dieser Stelle nämlich nur begrenzt weiter. Sport (oder auch „nur“ Bewegung) sollten Freude machen und nicht lediglich einem falsch verstandenen Belastungsanspruch Genüge tun.  Obendrein werden die Muss-Trainingsprogramme häufig einfach abgespult. Laufbänder und Spinning Bikes verleiten zum Nachrichten lesen oder Movie schauen, was nicht nur den Trainingseffekt verringert, es entsteht vielmehr auch weniger Freudegefühl im Körper, denn er ist quasi „abgespalten“. Dabei werden bei Freude im Körper Glückshormone, wie zum Beispiel Dopamin, ausgeschüttet. Das macht uns aufmerksamer und lässt unser Gehirn besser arbeiten. Erwiesen ist auch ein Zusammenhang zwischen der Ausschüttung von Glückshormonen und einer Stärkung des Immunsystems. Es lohnt sich also, Freude bei der Wahl unserer Sportart zum Maßstab zu machen und sich außerdem zu fragen, wie viel davon gut tut - beziehungsweise wann es zu wenig ist.

Auch gesunder Schlaf, der nicht nur dem Zeitplan des Terminkalenders unterworfen oder gar als Zeitverschwendung betrachtet wird, sondern dem Biorhythmus folgt, wirkt präventiv gegen Krankheit.
Schon Anfang 2019 gingen allerdings die Ergebnisse einer DAK-Studie durch die Medien4 , die belegen, dass Schüler, insbesondere der höheren Klassen, unter chronischem Schlafmangel leiden. In Zusammenarbeit mit dem IFT-Nord (Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung) wurden 9600 Schüler befragt. Es stellte sich heraus, dass ungefähr jede/r dritte Schüler:in unter Schlafmangel leidet und dass eine Korrelation zwischen geringer Schlafmenge und erhöhter Stresshäufigkeit besteht. Ganz abgesehen davon, dass häufiger Stress krank macht, können sich unausgeschlafene Schüler schlecht konzentrieren und lernen weniger. Eine für unsere Zukunft durchaus ernstzunehmende Gefahr.

Schlaf – das ungenutzte Zeitkontingent

Ungeachtet derartiger Meldungen und der Tatsache, dass 2017 sogar der Nobelpreis für Medizin drei US-Amerikanern, Jeffrey C. Hall, Michael Rosbash und Michael W. Young, für die Erforschung zirkadianer Rhythmen (innere Uhr), verliehen wurde, hält sich jedoch insbesondere in unserer Arbeitswelt weiterhin hartnäckig die Überzeugung, dass Biorhythmus nur ein Mythos sei.

Manchmal macht im Gegenteil sogar der Euphemismus des „All nighters“ die Runde, der suggeriert, dass es sich bei Schlafentzug um eine großartige sportliche Leistung handele, weil Schlaf doch nur verschwendete Zeit sei.

„Müßiggang ist aller Laster Anfang“ oder „Dem Glücklichen schlägt keine Stunde“?

Ganz zu schweigen von der Muße, dem wachen, selbstentschiedenen Nichtstun. Sie widerspricht dem Leistungsanspruch so vollkommen, dass wir uns mit ihr äußerst schwertun. Da wir das Bedürfnis danach aber verspüren, hat sich mit Wellness-Angeboten und einer Vielzahl vorgefertigter Abschalt-Programme eine ganze Industrie um die Muße herum entwickelt. In dieser Form ist die Muße dann auch gesellschaftsfähig, jedoch widerspricht deren Event-Charakter ihrem eigentlichen Wesen.

Dabei ist sie unerlässlich, um zur Besinnung zu kommen. Das bedeutet, dass wir uns (nicht nur im Urlaub) übergeordnete Fragen stellen, deren Beantwortung nicht selten einen richtungsweisenden Effekt auf unser Tun hat. Ohne Muße laufen wir hingegen Gefahr, in einem Dauerbeschäftigungs-Tunnel zu landen, der es uns unmöglich macht zu erkennen, ob wir, obwohl wir viel arbeiten und dabei alles „richtig“ machen, vielleicht doch das Falsche tun. Das Falsche wiederum wird uns auf lange Sicht krank machen, da es uns nicht befriedigt oder anders gesagt, nicht glücklich macht.

Falsch verstandene Olympiade

Ein extremes Beispiel dafür ist das Geschäft mit dem modernen Spitzensport – es reicht auch dort nicht mehr, dass Athleten ihren Körper durch eine stärkende Lebensführung, positive mentale Einstellung und hartes Training zu (seinen individuellen) Bestleistungen bringen. Sie quälen ihn vielmehr über das für ein gutes Training erforderliche Maß hinaus, indem sie seine Grenzen mithilfe von Drogen umgehen. Sie überhören dabei konsequent seine Bedürfnisse und setzen seine Unversehrtheit, seine wundervolle Selbstregulationsfähigkeit aufs Spiel, um noch mehr als eigentlich möglich aus ihm herauszuholen.

Damit leben sie dem Rest der Bevölkerung ein durch und durch ungesundes Verhalten vor, das sich jedoch im schillernden Gewand des Sieges zeigt. Nicht selten lässt es einen geschundenen und wenig attraktiven Körper zurück oder es führt gar zu frühem Ableben. Die unter Spitzensportlern gehäuft vorkommenden Depressionen oder ein Leben, das sich nach der (kurzen) aktiven Phase nicht selten unter der Armutsgrenze (weltweit 50.000 ehemalige Olympioniken!5) abspielt, zählen fast noch zu den mildesten Spätfolgen. Dennoch finden sie als Vorbilder in den Gyms dieser Welt teilweise groteske Nachahmung – bis hin zur mittlerweile belegten Sportsucht oder zu völlig absurden Auswüchsen wie Muskel-Implantaten aus Silikon.

Es geht in all diesen Fällen nicht um Wohlbefinden oder Gesundheit, sondern vielmehr um den Aspekt der Kontrolle – in diesem Fall über den eigenen Körper und je mehr dieser sich quälen muss, desto größer ist das Kontroll- und Machtgefühl, denn von alleine würde er das schließlich nicht tun.

Zurück zu Fitness-Trackern und Wearables

Natürlich helfen sie dabei, die eigene Fitness besser einzuschätzen und liefern wertvolle Daten, um ein Training sinnvoll aufzubauen. Anfangs können sie auch motivierend wirken, weil Steigerungseffekte „ablesbar“ sind.

Selbstverständlich sind Smartwatches auch sinnvoll, um die Kontrolle über stille Erkrankungen wie zum Beispiel Bluthochdruck oder Diabetes zu behalten.

Wie jede Technik sind auch Wearables weder gut noch schlecht – es liegt an uns, sie sinnvoll einzusetzen.

Eines steht allerdings fest: Fitness-Tracker lenken die Aufmerksamkeit nach außen auf das Gerät mit seinen Zahlen, Daten, Fakten, also weg von unserem Inneren. Ein gutes Körperbewusstsein empfängt viele dieser Daten zwar nicht in Form von Zahlen, aber in Form von Empfindungen, die mitunter mehr über unseren persönlichen Zustand aussagen.

Körperbewusstsein, Somatische Intelligenz und was du tun kannst

  • Trainiere deine Körperwahrnehmung
    - Konzentriere dich mehrmals am Tag für einige Augenblicke auf deinen Atem. Achte darauf, wie du ein- und ausatmest, wie schnell oder langsam, wie tief oder flach.
    - Horche zwischendurch, wo immer du gerade bist, in dich hinein und frage dich: „Was fehlt mir gerade – ist alles im Lot?
    - Steh ab und zu kurz auf und lass bewusst deine Muskeln locker. Fühle, wo sie verspannt sind und dehne sie dann.
  • Baue deine somatische Intelligenz6 aus
    - Wenn du gegessen hast: Frage dich, ob du dir genug Zeit genommen hast
    - Frage dich, ob du wirklich Appetit auf das hattest, was du gegessen hast
    - Frage dich, wie es dir bekommen ist
    - Frage dich, wie das Essen auf deine Laune gewirkt hat

Fazit

Der Begriff „Somatische Intelligenz“ wird zwar überwiegend auf bewusste Ernährung angewandt, von der Wortwahl her bedeutet er aber insgesamt unsere körperbezogene Intelligenz (Somatik = den Körper betreffend; Intelligenz = geistige Leistungsfähigkeit speziell zur Lösung von Problemen). Ähnlich wie uns die emotionale Intelligenz im Umgang mit uns selbst und unserem sozialen Umfeld vor gefährlichen Irrtümern schützt, so tut es die somatische Intelligenz im Hinblick auf unsere physische Gesundheit und unser Wohlbefinden.


1. Bryan Johnson

2. Scherer, M. (2018): Intensiver Ausdauersport kann Männerherzen schädigen. Hamburger Ärzteblatt 02/2018, S. 25

3. Lemm, S. (2018): Intensiver Ausdauersport kann Männerherzen schädigen. In: Ärztliches Journal, München Januar 2018. Abrufdatum 21.3.2019

4. Pressestelle DAK Gesundheit (2019): Fast jeder dritte Schüler hat Schlafstörungen. DAK-Präventionsradar 2018 untersucht Zusammenhang mit Schulstress und langen Bildschirmzeiten. Abrufdatum 21.3.2019

5. Wippert, P.-M. (2011): Kritische Lebensereignisse in Hochleistungsbiographien, Untersuchungen an Spitzensportlern, Tänzern und Musikern. Lengerich 2011, S. 9

6. Frankenbach, Thomas (2014): Somatische Intelligenz – Hören, was der Körper braucht. Koha.Burgrain.2014

Literatur

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